Rimini Protokoll: Top Secret International

Staat I Top Secret International
Erkennungszeichen. Eine Besucherin von “Staat 1” im Neuen Museum winkt mit ihrem Notizbuch | © Kevin Fuchs

Theater zum Mitmachen und Mitdenken

Das Theaterkollektiv Rimini Protokoll begibt sich mit ihrem Stück “Top Secret International” auf die Spuren staatlicher Nachrichtendienste und Geheimdienstorganisationen – vor einer ungewöhnlichen Kulisse

Jetzt anhören:

“Top Secret International” wurde 2016 in München uraufgeführt und ist der erste Teil der Tetralogie “Staat”, mit dem Rimini Protokoll vier Phänomene der sogenannten „Postdemokratie“ (Colin Crouch) unter die Lupe nehmen: staatlich finanzierte Großbaustellen, die Demokratie im digitalen Zeitalter, der politische Einfluss von Banken und Konzernen und eben: das internationale Geheimdienstnetzwerk. Bei “Staat I” schlüpft das Publikum in die Haut eine*r Geheimdienstmitarbeiter*in und wird mitgenommen auf einen interaktiven Rundgang durch das Neue Museum in Berlin – vorbei an der Nofretete, dem Sonnengott Helios und anderen antiken Skulpturen.

Regisseurin Helgard Haug reizen am Thema Geheimdienst die Grundsatzfragen: „Wie viele Informationen will ich preisgeben? Was darf ein Staat über mich wissen? Welche Mittel darf er verwenden? Schließt sich Geheimdienst und Demokratie nicht eigentlich aus?“

Seit 2002 macht Haug zusammen mit Stefan Kaegi und Daniel Wetzel unter dem Label “Rimini Protokoll” Theater. Zwar haben sie auch konventionelle Bühnenproduktionen im Repertoire, ihr Markenzeichen ist aber die Entwicklung von neuen, interaktiven, manche würden auch sagen, „dokumentarischen“ Formaten. Dafür recherchieren sie wie Journalist*innen und lassen Personen zu Wort kommen, die sich selbst spielen.

Was dabei ans Licht kommt, ist überraschend und schauerlich zugleich: etwa die Erkenntnis von Ex-BND-Chef Gerhard Schindler, dass es einen sauberen Nachrichtendienst nicht gibt und man „betrügen, lügen und mit den Gefühlen anderer Menschen spielen“ muss, wenn man an geheime Informationen kommen will. Oder die Geschichte von Amir F. aus Teheran, einem Spion wider Willen, der zur Kollaboration mit dem iranischen Geheimdienst gezwungen wurde.

Rimini Protokoll wollen mit unseren Sehgewohnheiten brechen und neue Perspektiven auf die Wirklichkeit eröffnen. Dem Publikum kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Statt es sich im Theatersessel bequem zu machen, wird es aktiv in das Spiel miteinbezogen. Bei „Staat I“ bekommt man ein kleines Büchlein in die Hand gedrückt, in das man Zeichnungen und Notizen machen soll. Außerdem wird man aufgefordert, Fotos von seiner Umgebung zu machen, ohne dabei beobachtet zu werden.

Beweisfoto. Im Lichthof des Neuen Museums kommt es zur Gegenüberstellung | © Kevin Fuchs

Und es werden Euch Fragen gestellt, die ans Eingemachte gehen: Verfügt Ihr über Informationen, die andere erpressbar machen? Würdet Ihr Gewalt anwenden, um das Leben anderer Menschen zu retten? Würdet Ihr die privaten Mails Eures Partners/Eurer Partnerin lesen? Je nachdem, wie Ihr antwortet, fällt Eure Museumstour aus. Keine Aufführung gleicht also der anderen.

Das Stück verzichtet auf einfache Antworten und lässt nicht nur Kritiker*innen, sondern auch Befürworter*innen zu Wort kommen. Das Publikum soll selbst urteilen, ob wir uns vor dem Geheimdienst schützen müssen. Statt einem naiven Vertrauen in den Staat braucht es für Regisseurin Helgard Haug aber vor allem drei Dinge: “Kontrolle, Wissen und eine kritische Distanz”.

“Top Secret International” läuft noch bis Sonntag, den 25. März, im Neuen Museum. Präsentiert vom Haus der Kulturen der Welt. Karten gibt’s unter www.hkw.de


Florenz

Autor:
Florenz