Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert

Hannah Arendt in der Wesleyan University 1961/62, Middletown, Connecticut © Middletown, Connecticut, Wesleyan University Library, Special Collections & Archives | Fotocredit: DHM

Hannah Arendt hat sich öffentlich zu vielen aktuellen Themen ihrer Zeit geäußert. Dies hat sowohl Faszination ausgelöst als auch Kritiker auf den Plan gerufen. Ihr Denken veränderte die Welt und löst auch heute noch heftige Debatte aus. 44 Jahre nach ihrem Tod ist die jüdische Denkerin zurück in Berlin.


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Eine außergewöhnliche Frau muss auch außergewöhnlich präsentiert werden. Am 11. Mai wurde im Deutschen Historischen Museum die Ausstellung „Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert“ wiedereröffnet. Diese ist aber keine traditionelle biographische Ausstellung, sondern etwas ganz Besonderes. „Uns interessieren vor allem die Themen des 20 Jahrhunderts, in die sie sich selber eingemischt hat und die auch Teil ihrer eigenen Lebensgeschichte gewesen sind“, – erklärt Ausstellungskuratorin Monika Boll in unserem Telefongespräch.

Einer der ersten Abschnitte der Ausstellung zeigt den wahrscheinlich wichtigsten Aspekt im Leben von Hannah Arendt: den Antisemitismus.

Wenn man als Jude angegriffen wird, muss man sich als Jude verteidigen

Die Deutsch-Jüdin Hannah Arendt ist in einem assimilierten Elternhaus aufgewachsen. Obwohl weder sie noch ihre Mutter jemals religiös waren, hat Hannah Arendt ihr eigenes jüdisches Selbstverständnis nie in Frage gestellt. In ihren Schriften hat sie immer eine säkuläre und moderne jüdische Position vertreten.

Bereits im Alter von 14 Jahren, als sie Kant gelesen hatte, stand für Hannah Arendt fest, dass sie Philosophie studieren will. Zuerst hat sie sich „weder für Politik, noch für Geschichte“ interessiert und träumte von einer rein akademischen Tätigkeit, später sollte sich dies ändern. Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen sah sich gezwungen politisch aktiv zu werden.

Ich könnte den 27. Februar 1933, den Reichstagsbrand und die darauf in derselben Nacht erfolgten illegalen Verhaftungen, [als den Moment der Hinwendung zum Politischen] nennen. Sie wissen, die Leute kamen in Gestapo-Keller oder in Konzentrationslager. Dies war für mich ein unmittelbarer Schock, und von dem Moment an habe ich mich verantwortlich gefühlt … und war nicht mehr der Meinung, daß man jetzt einfach zusehen kann.

Hannah Arendt im Gespräch mit Günter Gaus, 28.10.1964

Banalität des Bösen

Als Jüdin wurde Hannah Arendt von den Nationalsozialisten verfolgt und musste 1933 emigrieren. Zunächst nach Frankreich und später in die USA. Als Journalistin, Lektorin und später Geschäftsführerin der Jewish Cultural Reconstruction hat sie im Exil Artikel geschrieben, Vorträge gehalten und anderen Flüchtlingen geholfen. In dieser Zeit beschäftigte sie sich intensiv mit dem Antisemitismus und publizierte mehrfach über den deutschen Faschismus.

Nach dem Kriegsende begleitete sie als Journalistin für das Magazin „The New Yorker“ den Prozess gegen den ehemaligen SS-Mann Adolf Eichmann, der die Deportationen und die Vernichtung der Juden organisierte. In ihrem Buch beschrieb sie den Prozess mit den Schlagworten Banalität des Bösen.

Nach dem Krieg war es üblich, dass man den Nationalsozialismus als etwas Dämonisches verstand und darüber sprach: als etwas zwar sehr böses, aber tiefgründiges. Und da machte Hannah Arendt dann die Erfahrung mit Eichmann. Das Böse ist nicht radikal oder tief, sondern es hat diese mörderische Banalität, die Eichmann hat. Das macht Eichmanns Schuld natürlich überhaupt nicht geringer, sondern eigentlich eher schlimmer. Darauf bezog sich diese These.

Die Ausstellungskuratorin Monika Boll im Interview

Hast du keine Liebe zu deinem eigenen Volk?

Für das Buch „Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen“ wurde die jüdische Politologin heftig kritisiert. Dass sie in dem Massenmörder nur einen Beamten, der die Ermordung der Juden mitleidslos wie eine Pflicht erfüllte, sah, hat ihre Kollegen und sogar enge Freunde sehr enttäuscht. Den leidenschaftlichen Widerspruch löste aber vor allem nicht ihr sarkastischer Ton aus, sondern ihre Meinung zur Mitwirkung der sogenannten Judenräte.

In Israel ist Hannah Arendt bis heute sehr umstritten, eine hebräische Ausgabe ihres Werkes erschien erst im Jahr 2000. Sie erhielt Briefe von Juden, die sich durch ihre Urteile beleidigt fühlten, auch viele gute Bekannte wandten sich von ihr ab. Darunter beispielweise der jüdische Religionshistoriker Gershom Scholem, der ihr unterstellte keine Liebe für das jüdische Volk in sich zutragen.

Freunde als ein Heimatersatz

Ich habe nie in meinem Leben irgendein Volk oder Kollektiv geliebt, weder das deutsche, noch das französische, noch das amerikanische. Ich liebe in der Tat nur meine Freunde und bin zu aller anderen Liebe völlig unfähig.

Hannah Arendt im Gespräch mit Günter Gaus, 28.10.1964

Von den Königsberger Zeiten bis nach Frankreich und in die USA: Freunde spielten eine große Rolle in Hannah Arendts Leben. Ob es ihre alten Freunde in Europa und in Deutschland oder ihre Jugendfreunde in Amerika waren, sie blieb ihnen treu. Das war für Arendt nicht einfach ein Freizeitvergnügen oder etwas Geselliges, sondern ein Netz, dass sie im Laufe ihre Flucht- und Emigrationserfahrungen geknüpft hatte. Die Leute zu haben, die mich verstehen, ist für mich wie ein Heimatgefühl und ein Heimatersatz, – sagte sie immer.

Hannah Arendt fotografiert von Freunden | Fotocredit: Maria Rudenko

Ihre Meinungen und Urteile zum Totalitarismus, Antisemitismus und vor allem zur Situation im Nachkriegsdeutschland haben für breite Kontroversen gesorgt und geben noch heute Impulse für Debatten. Doch eines ist klar: Hannah Arendt ist eine der wichtigsten politischen Denkerinnen des 20. Jahrhunderts. Die Anzahl der Ausstellungsbesucher, bereits etwa 5000 bis Ende Mai, zeigt, dass ihre Gedanken weiter aktuell und populär bleiben.

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Informationen zum Ausstellungsbesuch

Hannah Arendt im Gespräch mit Günter Gaus


Autorin:

Maria